Ultraschall – kann Hebammenwissen nicht ersetzen
Masterarbeit vergleicht haptische Untersuchungen mit Ultraschall
Die Hebamme Sigrid Kopp geht in ihrer Masterarbeit der Frage nach: „Inwieweit kann die moderne Gerätemedizin die haptischen (fühlen/spüren/tasten) Untersuchungen der Hebammen und Entbindungspfleger unter der Geburt, mit Fokus auf die Untersuchung der kindlichen Lage, Stellung, Haltung und Einstellung intrauterin, als diagnostisches Instrument ersetzen?"
Eltern können sich seit Dezember 2020 auf eine neue „S3-Leitlinie Vaginale Geburt am Termin" berufen. Sie besagt, dass dasAufnahme-CTG nicht mehr routinemäßig durchgeführt werden soll.
Sigrid Kopp weist in ihrer Arbeit nach, dass die haptische Untersuchung durch Hebamme/Entbindungspfleger Informationen zum naturgemäßen Geburtsverlauf erbringt, die Ultraschall-Untersuchungen nicht liefern. Lediglich bei sog. regelwidrigen Geburtsverläufen ist Ultraschall von Nutzen, um zusätzliche Informationen zu erhalten.
„In der Regel findet der Erstkontakt im Kreißsaal mit Hebamme oder Entbindungspfleger statt. Nach Anamnese, geburtshilflicher Befunderhebung und Schreiben eines 30minütigen CTG (Ultraschall-Herztonmessung) wird der Arzt hinzugezogen, welcher nach einer weiteren Befragung nach anamnestischen Risikofaktoren eine Ultraschalluntersuchung vornimmt.
... Eine routinemäßig durchgeführte sonographische Untersuchung bei Wehenbeginn am Geburtstermin und Aufnahme im Kreißsaal findet in den deutschen Mutterschaftsrichtlinien keine Erwähnung." (6.3.4 Ultraschall als Teil der Aufnahmeuntersuchung, S. 29)
Dennoch wird bei der Aufnahmeuntersuchung von Schwangeren in Kliniken „die sonographische Untersuchung... zur Einschätzung der Kindslage und Stellung, der kindlichen Vitalität und Größe (Biometrie), der Fruchtwassermenge und zur Lokalisation der Plazenta durchgeführt. Ihre Durchführung ist eine ärztliche Tätigkeit." (6.4.Ultraschall als diagnostisches Mittel unter der Geburt, S. 32)
„Es gibt keine offizielle Leitlinie, welche eine Ultraschalluntersuchung unter der Geburt empfiehlt, dennoch wird diese fast routinemäßig durchgeführt.
Mit dem diagnostischen Ultraschall soll unter der Geburt die Kindslage ermittelt werden, Messungen der Kindsgröße und der Fruchtwassermenge werden als relativ ungenau angegeben und können in einem Bereich von + 15 % schwanken.
Studien ergaben, dass der Einsatz von Ultraschall zur Bestimmung der Kindslage und Stellung unter der Geburt und die daraus resultierenden falsch positiven Ergebnisse das Kaiserschnittrisiko signifikant erhöhten.
Eine isolierte Befunderhebung erschwert zusätzlich die Diagnose von Kindslage und Stellung. Fällt durch ein Abweichen der logisch aufeinander aufbauenden Untersuchungen die Möglichkeit der Annäherung an die Schwangere durch die äußere Untersuchung weg, so fehlen dem Untersucher nicht nur wichtige Befunde, welche durch die vaginale Untersuchung widerlegt oder bestätigt werden, der natürliche Prozess der Annäherung an die Intimsphäre der Schwangeren wird nicht respektiert.
Aufregung und Scham auf Seiten des Untersuchers und Verspannung auf Seiten der Schwangeren können das Untersuchungsergebnis beeinflussen. Der zusätzliche Einsatz des Ultraschalls in geburtshilflichen Notfällen wird in den meisten Fällen zu einer raschen Handlung verhelfen, bzw. bei infauster (ungünstiger) Situation die Handlungsgeschwindigkeit anpassen. Voraussetzung ist, sowohl die Untersuchung durch einen Spezialisten durchführen zu lassen als sich im weiteren Behandlungsverlauf an klinischen Symptomen zu orientieren." (6.4.5 Fazit, S. 35)
Ab Seite 45 geht es unter 8. um die Differenzierung der Leistungsspektren von diagnostischem Ultraschall und Haptik.
„Die in Kapitel 6.4 angeführten Erkenntnisse aus aktuellen Studien über den Einsatz des Ultraschalls zur Entscheidungsfindung in der Geburtsleitung verdeutlichen dessen eingeschränkten und wenig effizienten Einsatz in regelrechten Geburtsverläufen. Die Darstellung des dreidimensionalen dynamischen Geburtsprozesses kann er nicht erfassen; zu viele geburtshilflich relevante Faktoren (siehe 7.2.3) können durch ihn nicht dargestellt werden. Der diagnostische Ultraschall kann hier höchstens bei der Definierung der Betreuungsziele helfen, das Management der Geburt wird sich aber immer an klinischen Zeichen wie Wehentätigkeit, kindlicher Vitalität, dem Tiefertreten des vorangehenden Teils, der Beschaffung und Öffnung des Muttermundes, sowie mütterlichen Vitalwerten orientieren." (8.1.1 Einsatz bei regelrechten Geburtsverläufen, S. 45)
„Das Leistungsspektrum des Ultraschalls ist an sich ein großes, die Erfassung des komplexen und dynamischen Geburtsgeschehens kann er jedoch nicht leisten. Daher erweist er sich für die Befunderhebung zur weiteren Geburtsleitung als unzureichendes Instrument und kann Hebammen und Entbindungspfleger unter der Geburt nicht entlasten.
In regelwidrigen Geburtsverläufen ist der gezielt eingesetzte Ultraschall eine Ergänzung der klinischen Befunderhebung zur Differenzialdiagnostik." (8.1.3 Fazit, S. 47)
11/2022