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Sexuelle Miss­brauchs­er­fah­rung – Aus­wir­kung auf die Ge­burt

Interview 

koenig marionMarion König, arbeitet seit Jahren als Therapeutin mit den Schwerpunkten Traumafolgen für Mama und Kind rund um die Geburt. Sie zeigt in diesem Interview Wege auf zum Umgang und zur Aufarbeitung sexueller Missbrauchserfahrungen. Mehr über ihre Arbeit erfahren Sie über die unten verlinkte Homepage.
Das Interview führte Irene Behrmann, Beiratsmitglied bei GreenBirth.

GreenBirth: Hallo Marion, du sprichst seit geraumer Zeit davon, dass sich bei einer Geburt auswirken kann, wenn Frauen in ihrer Kindheit oder Jugend von sexuellen Übergriffen betroffen waren. Wie bist du auf dieses Thema gestoßen?

Marion König: Meine Klientinnen melden sich überwiegend nach traumatischen oder schwierigen Geburtserfahrungen bei mir. Meistens werden sie von ihrer Gynäkologin oder Hebamme geschickt. Oft kommen sie auf Empfehlung von Freundinnen oder Kolleginnen, die selbst Klientinnen bei mir waren.
Das bedeutet, die Frauen kommen im Grunde zur Aufarbeitung dieser Erfahrung, weil sie sich, die Beziehung zum Kind und/oder zum Partner als sehr belastet empfinden. Oder sie kommen in einer Folgeschwangerschaft und alles während der ersten Geburt Erlebte wird wieder sehr lebendig, was zu riesigen Ängsten vor der nächsten Geburt führt. Gleichzeitig ist damit die aktuelle Schwangerschaft belastet und die Verbindung zum ungeborenen Kind blockiert.
Bei vorsichtigem Nachforschen ergaben sich unerwartet häufig frühe sexuelle Gewalterfahrungen in den Biografien meiner Klientinnen, ohne dass ich dies explizit angesprochen hätte. Oder es tauchten während unserer gemeinsamen Arbeit Erinnerungen oder innere Bilder zu diesem Thema im Hintergrund auf.

GreenBirth: Wie gehst du denn dann weiter vor, denn das ist ja ein schwieriges Thema?

Marion König: Ja, das Thema ist schwierig, doch ich schenke ihm keine besondere Aufmerksamkeit oder Energie, d. h. weder fokussiere ich mich darauf, noch "wühle" ich darin herum. Ein wichtiger Aspekt ist insgesamt die Stabilisierung der Frauen, denn durch vielfältige Ängste leiden sie unter großem Stress.
Meine Aufgabe sehe ich darin, einer Klientin zu zeigen, wie sie in eine gute Verbindung zu ihrem Körper gelangen, wie sie ihn bewusster spüren und wahrnehmen und ihn dadurch als Kraftquelle gewinnen kann. Das gilt übrigens für jede meiner Klientinnen, jedoch umso mehr für Frauen mit früheren Gewalterfahrungen. Denn sie haben meist wenig bis gar kein Körpergefühl als Folge dieser missbräuchlichen Erlebnisse. Mit ihnen bin ich besonders vorsichtig und achtsam, Stichwort "traumasensibles Arbeiten".

GreenBirth: Was meinst du mit ,besonders vorsichtig und achtsam'? 
Marion König: Diese Frauen haben ihren Körper schon früh als Hort von Schmerzen und Unbehagen erfahren. In Bezug zur Geburtserfahrung fühlen sie sich von ihm im Stich gelassen, er erfüllte seine Aufgabe nicht, sie misstrauen ihrem Körper, sind sogar böse mit ihm und fühlen sich häufig insgesamt als Versagerinnen.
Und auch als Mütter von ihren gleichzeitig unter der Geburt oft traumatisierten Babys, häufig sind es Schreibabys, fühlen sie sich unfähig und schlecht.  

GreenBirth:
Wie gehst du denn konkret vor, um die Frauen in dieser Situation zu unterstützen?
Marion König: Gemeinsam erarbeiten wir also viele verschiedene Strategien, um mit Körper und Geist (dem immer alles überwachenden Kopf/Gehirn) in die Entspannung zu gelangen - was eine riesengroße Herausforderung sein kann. Das geschieht beispielsweise mit simplen Erdungs- und Körper­spür­übungen, mit verschiedenen einfachen Atemtechniken, sowie wohltuenden Visualisierungen, um den Körper auf eine gute Art wahrzunehmen.
Das Beste daran ist, dies alles sind explizit für schwangere Mamas gute Voraussetzungen für eine tiefgehende Verbindung zu ihrem Baby. Auf bio­lo­gi­scher Ebene wird viel Oxytocin ausgeschüttet, das Bindungshormon. Es wirkt in seiner Funktion als Neurotransmitter positiv auf viele bedeutende regulatorische Zentren im Gehirn von Mama und ungeborenem Baby.
GreenBirth: Gibt es auch Dinge, die du deinen Klientinnen sachlich erklärst?
Marion König: Ja, gleichzeitig halte ich sehr viel von einer Art Psychoedukation. Ich nenne das immer "Futter für den Verstand". Meine Klientinnen greifen diese Informationen mit großem Interesse und sehr dankbar auf. Für mich bedeutet dies, den Frauen viel Information und Wissen über die Folgen von Traumata zu vermitteln, was das mit ihrem Körper und Verhalten machen kann. Denn viel zu oft halten die Frauen sich irgendwie für verrückt, als ob mit ihnen etwas nicht stimmen würde. Und tatsächlich wurde ihnen dies auch sogar von einigen "Fachpersonen" so vermittelt. Für mich sind eher die äußeren Umstände verrückt, die die Frauen erlebt haben. Die Reaktionen ihres Körpers und ihrer Psyche sind jedoch normale Überlebensmechanismen darauf.

GreenBirth: Du sprichst die Fachpersonen an. Was sollten diese beachten, oder was können betroffene Frauen eventuell zu ihrem eigenen Schutz den Fachpersonen sagen?
Marion König: Zunächst muss ich feststellen, vielen Hebammen und GynäkologInnen ist der Zusammenhang von frühen Missbrauchserfahrungen und eventuellen Auswirkungen unter der Geburt nicht bewusst. Gleichzeitig scheint es ein Tabuthema zu sein, was möglichst nicht angesprochen werden sollte, auch wenn Körperreaktionen der Frauen es erahnen lassen. Dies er­zähl­ten mir Hebammen, mit denen ich mich dazu austauschte.
Meine dringende Empfehlung an Fach­personen rund um Schwangerschaft und Geburt: sie sollten traumasensibel mit allen Schwangeren umgehen. Aktuelle Zahlen (2022) sprechen davon, dass jede fünfte bis sechste Frau sexuelle Gewalt in der Kindheit und/oder Jugend erlitten hat.
Meinen Klientinnen rate ich, bei ihrer Hebamme oder Gynäkologin generell um eine traumasensible Behandlung zu bitten. Sie müssen sich dafür nicht outen, es reicht, wenn sie dies auf Grund früherer traumatischer Erfahrungen einfordern.
Meinen Auftrag sehe ich darin, sie so weit zu bestärken und zu stabilisieren, dass sie in der Lage sind, selbst­be­stimmt auf eine gute Art und Weise für sich und ihr Baby einzustehen.
GreenBirth: Vielen Dank, Marion, für dieses Gespräch.

Weiterführende Links und Literatur:
- Link: Sexualisierte Gewalt und Geburt
- Jahrbuch der ISPPM. Klippel-Heidekrüger, Marita; Janus, Ludwig (Hg.): Vielfältige Zugänge zum vorsprachlichen und geburtlichen Erleben. Vortrag von Marion König: Werdende Mütter mit frühen sexuellen Gewalterfahrungen und Unterstützungsmöglichkeiten Mattes Verlag 2022.
- Wir verweisen auch auf die Homepage von Marion König, Button "Trauma".  Frau König berät betroffene Frauen auch online.
09/2023

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