Abnabeln aus Lungenfacharzt Sicht
Umstellung auf die Lungenatmung erfordert Zeit
Dein Baby braucht eine durchgehende Versorgung mit Blut, wenn es sich auf die Lungenatmung umstellen muss. Beim sog. Auspulsieren der Nabelschnur nach der Geburt zeigt sich, dass das Baby sich aktiv sein eigenes Blut einverleibt.
Foto: Nicole Ebrecht-Fuß
So gelingt die Umstellung ohne Angst und ohne Stocken. Ein Risiko besteht für das Baby, wenn es zu früh abgenabelt wird. Wir kennen das Gefühl, wenn wir in der Badeanstalt getaucht hatten und die Luft knapp wurde, bevor wir wieder aufgetaucht waren.
Zur Gewinnung von Nabelschnurblut muss direkt nach der Geburt in weniger als 30 Sek. die Nabelschnur durchtrennt werden. Dadurch verliert das Baby nachweislich mindestens ein Drittel seines Gesamtblutes. Dein Kind kann zusätzlich in eine kurzzeitige Unterversorgung mit Sauerstoff geraten, verbunden mit Erstickungsangst. Das ist nicht banal sondern kann sich im Gedächtnis des Babys konditionierend auswirken: Angst = keine Luft bekommen.
Schon 1924 wurde der Zusammenhang von zu früher Abnabelung und späterem Asthma festgestellt. Otto Rank: „Zu den direkten körperlichen Reproduktionen des Geburtstraumas gehören ferner alle neurotischen Atembeschwerden (Asthma), welche die Erstickungssituation wiederholen…“ (Rank, Neuauflage Fischer Verlag Frankfurt 1988, S. 67).
Eine dänische Studie zu Atemwegserkrankungen nach Kaiserschnitt belegt ein vierfach höheres Risiko dafür, dass Babys im ersten Lebensjahr Atemwegserkrankungen haben, wenn sie mit Kaiserschnitt geboren wurden.
Deutsche Zusammenfassung:
Dänische Studie an 35 000 Neugeborenen zu Kaiserschnitt und Atemfunktionsstörungen.
Prof. Dieter Köhler vom wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin DGP, erläutert eine dänische Studie an Neugeborenen.
(Von diesen 35.000 Kindern, die zwischen der 37. und 41. Schwangerschaftswoche geboren wurden, kamen 2.687 durch Kaiserschnitt ohne medizinische Notwendigkeit auf die Welt, davon 788 Wunsch-Kaiserschnitte.)
Prof. Dieter Köhler: „Das Risiko für respiratorische Störungen ist auch dann noch deutlich erhöht, wenn der Kaiserschnitt zeitlich nah am errechneten Geburtstermin vorgenommen wird… Das ist wahrscheinlich auf den beim Kaiserschnitt fehlenden Katecholamin-Stoß zurückzuführen.
Diese Stresshormone werden bei einer normalen, vaginalen Geburt von der Mutter auf Grund der Wehen und Schmerzen beim Durchtritt des Kindes durch den engen Geburtsweg (oder auch – nach Einsetzen der Wehen – bei einem Not-Kaiserschnitt) ausgeschüttet und stellen somit eine natürliche Begleiterscheinung dar, die allerdings offenbar auch für die Entfaltung der Lungen des Neugeborenen förderlich und notwendig sind. So sorgen die Katecholamine bei einer vaginalen Geburt dafür, dass weniger Flüssigkeit in die Lungen des Kindes abgesondert wird und gleichzeitig die Bildung eines wichtigen Stoffes – des so genannten Surfactants, der die Lungenbläschen weitet und dem Kind die ersten Atemzüge erleichtert – angekurbelt wird…
Solche Kaiserschnitte sind in den letzten Jahren deutlich häufiger geworden… Viele Schwangere scheuen offenbar die Schmerzen und Anstrengungen einer vaginalen Geburt; manche meinen sogar, dass sich die Geburt per Kaiserschnitt auch für das Kind stressfreier gestalte… Dem ist allerdings nicht so – vielmehr müssen die Kinder nach einem Kaiserschnitt auf Wunsch sehr viel stärker um ihren Atem ringen als nach einer vaginalen Geburt, wie die dänische Studie aufgezeigt hat. So traten schwere Komplikationen, die eine Sauerstofftherapie oder Beatmung erforderlich machen, nach einem Kaiserschnitt rund 5mal häufiger auf. Bei jedem zehnten Kind, das in der 37. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt geholt wurde, kam es zu respiratorischen Problemen – wie z.B. eine vorübergehend gesteigerte Atemfrequenz oder aber ein dauerhafter Lungenhochdruck.
Bei Kindern, die ebenso früh aber vaginal entbunden wurden, werden solche Störungen hingegen etwa 4mal seltener beobachtet. Angesichts dieser Zahlen kann man den Kaiserschnitt auf Wunsch der Mutter also wirklich nicht als die komplikationslosere oder schonendere Methode ansehen - geschweige denn empfehlen, solange dazu keine medizinische Notwendigkeit besteht“.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) vom 23.01.2008
2/2023